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Auf dem Eis durch die schwedischen Schären...
Erster Versuch einer Winterradtour über gefrorene Meeresbuchten

Mit Schlittschuhen lange Strecken über das Meereis zu gleiten - das scheint eine skandinavische Erfindung zu sein. Warum nicht auch mit dem Fahrrad, denken wir uns, und fahren im Februar 2013 an die Schärenküste Südschwedens.
In Kråkelund werfen wir einen ersten Blick auf das Meereis. Es ist aufgebrochen, dicke Schollen reihen sich aneinander wie träge Flöße. Dahinter die offene Ostsee. Der Ort ist relativ exponiert - wenn es hier tragfähiges Eis gibt, sollten die Bedingungen zwischen den Inseln optimal sein. Wir fahren ein Stück landeinwärts und setzen unsere Räder an einer kleinen Bucht aufs Festeis. Vorsichtig tasten wir uns die ersten Meter vor. Im Uferbereich ist der Schnee wasserdurchtränkt, doch das Eis hält - es ist geradezu bombensicher. Je weiter wir hinausfahren, desto tiefer wird allerdings der Schnee. Wir kommen nur langsam voran, aber wir genießen dieses unbeschreibliche Gefühl, über das Eis einer gefrorenen Meeresbucht zu rollen und tauchen ab in die unberührte Inselwelt der schwedischen Schären. Hin und wieder sehen wir am Ufer ein idyllisch gelegenes Haus. Niemand ist da. Nur einmal begegnen wir einer Gruppe Eisanglern, ansonsten bleiben wir für uns.
Als an einigen Engstellen offenes Wasser auftaucht, müssen wir Land passieren, um sicher auf die andere Seite zu gelangen. Die Ufer sind voller Felsen - keine Chance, das Rad einfach durch den Wald zu schieben. Wenn es geht, weichen wir auf kleine Wege aus, doch die sind so tief verschneit, dass wir manchmal Stunden brauchen, um die nächste Bucht zu erreichen. Irgendwann haben wir genug und fahren ein Stück auf der küstennahen Straße weiter nach Klintemåla. Von hier wagen wir den nächsten Anlauf. Eine Schneemobilpiste führt direkt zur Insel Vinö. Zweige stecken als Markierungen im Schnee. Ein Stück folgen wir der Spur, dann biegen wir nach Norden ab.
Inzwischen haben wir ein gutes Gespür für die Eisverhältnisse und fahren bis in die Dunkelheit. Der bisher bewölkte Himmel klart auf, Sterne funkeln am Firmament. Die Temperatur sackt ab auf unter -10 Grad. Stille umgibt uns - nur das gedämpfte Knirschen des jungfräulichen Schnees folgt den spurenden Rädern. Als wir den Hamnödjupet erreichen, legen sich Nebelschwaden über die weite Eisfläche. Ein Waldkauz ruft aus der Ferne - die Stimmung ist geradezu mystisch. Mitten auf dem Eis stellen wir unser Zelt auf. Wir haben ein Tipi dabei, welches wir mit Eisschrauben windsicher verankern. Dann sammeln wir Schnee und kochen uns daraus Tee und die allabendliche Nudelsuppe.
Am nächsten Tag erreichen wir eine Eisbrecherlinie. Wir prüfen das Eis. Die Schollen sind alle wieder zusammengefroren, eine Querung stellt kein Problem dar. Im Gegenteil: da hier kaum Schnee liegt, rollen wir bequem, wie auf einer asphaltierten Straße - die Spikes geben den nötigen Grip. Danach wird es wieder mühsam. Wir biegen ab in eine schmale Pforte zwischen den Inseln Skavdö und Hamnö, um auf direktem Wege nach Norden fortzusetzen. Schärentypische Felsformationen säumen hier das Ufer. Dann auf einmal ein Knacken im Eis - ein Schrecken fährt mir durch die Glieder. Ich stoppe abrupt und setze mein Rad langsam zurück. Offensichtlich ist das Eis hier gefährlich dünn. Mit einem Beil hacken wir ein kleines Loch und prüfen die Dicke: nur noch 4 Zentimeter. In diesem Zustand ist es noch tragbar, aber was, wenn es später noch dünner wird? Wir haben zwar Eispicker und Wechselsachen dabei, wollen das Risiko aber nicht eingehen. Wir drehen um und werden es am nächsten Durchgang versuchen.
Starker Schneefall setzt ein. Während wir ein Stück auf das scheinbar schon offene Meer hinausfahren, bläst uns der Wind die Schneeflocken ins Gesicht. "Whiteout" auf dem Eis - die bewaldeten Uferabschnitte sind nur noch schemenhaft zu erkennen. Wir steuern eine kleine Leuchtturminsel an und machen eine kurze Pause. Wenig später erreichen wir die Insel Eknö. Hier ist die Pforte breiter und wir gelangen problemlos in die windgeschützte Bucht. Derweil schneit es unaufhörlich weiter. Inzwischen ist die Schneeauflage so hoch, dass wir nur noch Schieben können. Ein Schneemobilfahrer passiert uns mit sprachlosem Blick. Er kommt aus einer kleinen Sommersiedlung, auf die wir nun direkt zuhalten. Sie ist wie ausgestorben, in nur zwei Häusern sehen wir Licht. Die Wege durch den Ort sind nicht geräumt. Wir folgen den Schneemobilspuren bis auf die andere Inselseite und kampieren an einem Bootssteg. Der Schnee ist mittlerweile so hoch angewachsen, dass selbst Schieben kaum noch möglich ist. Uns wird klar: wir müssen abbrechen und auf direktem Wege zurück zum Festland.
Bis Strandbo, der nächstgelegenen Siedlung mit Anbindung ans Straßennetz, sind es noch etwa drei Kilometer. Doch schon nach 500 Metern werden wir erlöst: ein Quadfahrer mit Anhänger nimmt uns mit bis ans Ufer. Wir lassen unsere Blicke noch einmal über das vereiste Meer gleiten. Dann satteln wir wieder auf und setzen unsere Winterradtour durch das schwedische Inland fort.

Richard Löwenherz      

Dieser Bericht erschien in gekürzter Form in "Norr - Das Skandinavien-Magazin" 4/2013
(vierteljährliche Zeitschrift für Skandinavien-Freunde)


Bericht in der Webversion von Norr (www.norrmagazin.de)...

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