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Den Göttern nah...
Islands Mythendichtern auf der Spur

"Obwohl wir nicht wissen, was Wahres daran ist, so wissen wir doch sicher,
dass kundige Männer aus alter Zeit diese Überlieferung für wahr gehalten haben."
(Snorri Sturluson)

Mitte März 2003. Die seit einem Jahr vor sich hin gärende Idee einer gemeinsamen Fahrradtour durch Island nimmt allmählich Gestalt an. Mit drei guten Freunden treffe ich mich eines Abends zur entscheidenden Lagebesprechung. Auf dem Tisch liegt mein Vorschlag für die Reiseroute: durchs Hochland soll es gehen - auf unbefestigten Pisten durch menschenleere Weiten... Es wird nicht einfach, sage ich - reißende Gletscherflüsse müssen durchquert und Unbilden der rauen Witterung getrotzt werden. Doch der eigentliche Knackpunkt ist der Gæðavatnaleið, ein 120 km langer Streckenabschnitt, der normalerweise nur von geübten Geländefahrern im Konvoi begangen wird... Zwei meiner Kumpanen sind nicht gerade begeistert davon. Doch ich gebe mir Mühe, auch sie von diesem verrückten, aber gut durchdachten Plan zu überzeugen. Ich selbst bin motiviert, denn der Gedanke, das unwirtliche Landesinnere auf genau diesem Weg zu durchqueren, fasziniert mich. Für mich ist klar: wir müssen es versuchen! Wir alle! Und zwar mit einem Reiseführer, der so alt ist, wie die einstige Landnahme durch die skandinavischen Wikinger: die Edda.
Ich hatte mich von Walter Hansens Buch "Asgard - Entdeckungsfahrt in die germanische Götterwelt Islands" inspirieren lassen und stellte die Planung von Anfang an unter das Banner der Edda. Zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert entstanden, erzählt die Edda in dichterischer Sprache von Göttern, Riesen und Zwergen, von mythischen Abenteuern, Tragödien und Komödien, vom Weltanfang und Weltuntergang... Hansen gelang es, Schauplätze dieser Art zu entschlüsseln und im vulkanisch geprägten Landesinneren Islands wiederzuentdecken. Denn die isländischen Mythendichter waren es, die auf ihren Wanderungen durch eine Welt fremdartiger Erscheinungen eine ihrem Glauben zugrunde liegende Sagenwelt schufen, die sich auch heute noch in den erstarrten Landschaften erahnen läßt. Und genau dieser Welt wollten wir so unabhängig und frei wie nur möglich mit der Ehrfurcht der damaligen Zeit begegnen - entlang einer rund 500 km langen Hochlandpiste, die den Hauptteil der sechswöchigen Radreise ausmachen sollte!

Anreise

Zu den Mitstreitern, die nun mehr oder weniger hinter dieser Idee standen, gehörten Thomas Lehmann, Alexander Haußmann und Thomas Flögel (von uns allen der "Elch" genannt...). Wir hatten schon viele gemeinsame Touren durchstanden und waren nach langer Vorbereitungszeit endlich bereit, uns dem Mythos Island zu stellen. Mit schwer bepackten Rädern und allerhand Ausrüstung für die Hochlanddurchquerung begann unsere Reise am 10. August.
Da unser Flieger nach Island von Kopenhagen nur halb so teuer war wie von irgendeiner deutschen Stadt aus, stand uns eine längere Anfahrt bevor, die wir in aller Ruhe mit Bahn, Fähre und ein paar Fahrradkilometern durch Südschweden angingen. In Kopenhagen angelangt, nächtigten wir in einem Park ganz in der Nähe unseres Flughafens, um am nächsten Morgen schnellstmöglichst unsere Abflugbereitschaft herzustellen. Der Flug selbst, der für meine drei Gefährten der erste überhaupt war, sollte nur durch die unerwartet hohen Übergepäckgebühren einen bitteren Beigeschmack haben. Auf Island in Keflavík gelandet, waren wir endlich frei vom Termindruck irgendwelcher Verkehrsmittel. Die Fahrt ins Reich der Mythendichter konnte beginnen.
Von der Halbinsel Reykjanes ging es zunächst schnurstracks gen Osten. Überraschend schlechte Schotterpisten und ständiger Dauerregen ließen uns in den ersten Tagen nur schleppend vorankommen. Island machte uns von Anfang an unmissverständlich klar, wozu es in der Lage ist... An der breiten Gezeitenmündung des Ölfusá erblickten wir in der klaren Morgendämmerung aus rund 80 km Entfernung die ersten sagenumwobenen Orte der Edda: den von Wolken umnebelten Vulkan Hekla, welcher einst für das Nebelreich der Totengöttin Hel gehalten wurde, die von Gletschern umgebene Þórsmörk, die als Welt der Eisriesen galt und den Eyjafjöll, den wir noch am selben Abend erreichten und welcher aus der Nähe wie ein unbezwingbarer Grenzwall zu einer anderen Welt erschien. Auf dem anschließenden Weg nach Vík, dem südlichsten Ort der rauen Nordmeerinsel und zugleich letzte Versorgungsstation vor dem Hochland, überraschte uns zum dritten Mal kräftiger Dauerregen. Bis auf die Knochen durchgeweicht, war ein Gästehaus unsere letzte Rettung.

Hochland

Am folgenden Tag stockten wir unsere Vorräte für zwei bis drei Wochen Abgeschiedenheit in den kargen Bergwüsten auf und sausten bei Rückenwind und sich einstellendem Schönwetter 50 km durch den endlosen Sander von Mýrdal. Mit dem Gletscher Mýrdalsjökull und dem darunter liegenden Vulkan Katla umrundeten wir einen der gefürchtetsten Orte Islands, um danach den Weg ins Hochland anzutreten. Eine üble Piste mit heftigen Anstiegen führte uns bis in die dunklen Schluchten der weltgrößten Feuerspalte Eldgjá, die für uns den Übergang zur Unterwelt, dem Reich der Mythen und Legenden markierte. Hier wanderten wir bis zum Wasserfall Ófærufoss, wo wir noch die Ansätze der 1994 eingestürzten Gjöll-Brücke erkennen konnten, auf welcher der Götterbote Hermod einst nach Helheim geritten sein soll, um den ermordeten Sonnengott Baldur ins Leben zurückzuholen. In der Prosa-Edda heißt es auch: "Der Helweg führt hinab und nordwärts". Genau so hatten wir auf unseren Stahlrössern die Eldgjá zur Unterwelt durchritten... Als wir die bemoosten Berge des "Helweges" erklommen, frischte der Wind auf und blies zum Abend mit dem ersten prachtvollen Polarlicht aus einem Horn. Am ganzen Himmel pulsierte und flackerte ein grünlicher Lichtzauber, als wuselten lautlos tausende Geister über das Firmament!
Von nun an führte ein verwinkelter und enorm abwechslungsreicher Weg durch die grandiosen Bergwelten um Landmannalaugar. Unzählige Flüsse und steile Berghänge galt es zu überwinden, bis uns ganz plötzlich die vegetationslose Einöde einer schwarzen Lavawüste umgab, wo sich jede Böe des erneut auffrischenden Windes zu einem Sandgebläse formierte. Die Piste zum türkisfarbenen Þórisvatn war jedoch mehr steinig als sandig und verlangte bei gerade mal 5 km/h (auch abwärts) viel Geduld ab, vor allem auf den Rücken der Berge, wo ein heftiger Seitenwind blies.
Die nächsten zwei Tage führten uns entlang der berüchtigten Sprengisandur-Route durch sanft gewellte braune Einöden. Immer wieder fiel der Blick auf den Hofsjökull zur Linken und den Vatnajökull zur Rechten, die als weiße Gletscherhauben den einzigen Kontrast für das suchende Auge boten. Fantastischer Sonnenschein und Temperaturen bis 20°C machten die Fahrt recht angenehm. Dennoch gestaltete sich das Bezwingen des alten Reit- und Wanderweges immer schwieriger. Nicht nur, dass sich der Wegezustand stetig zu verschlechtern schien - wie aus dem Nichts überfielen uns auch noch lauter kleine Fliegen, die wegen unserer schleppenden Geschwindigkeit unmöglich abzuschütteln waren und bald in solchen Scharen auftraten, dass wir nur noch mit Mückennetz oder Schutzbrille fahren konnten...
Pessimistische Blicke machten sich in den strapazierten Gesichtern breit, denn der im allgemeinen Reiseführer als relativ gut bezeichnete Weg weckte nur wenig Begeisterung für das, was noch kommen würde. Außerdem löste sich beim Elch nach und nach der hintere Gepäckträger in lauter Einzelteile auf und auch der vordere musste aufgrund einer gebrochenen Schweißnaht und überdrehter Schrauben ständig mit Klebeband stabilisiert werden. Wenig Freude bereitete mir auch eine aufkommende Sehnenscheidentzündung an der linken Hand mit der ich nur noch unter Schmerzen greifen und heben konnte...
Im Bereich des Tungnafellsjökull gab es dann auch die ersten und glücklicherweise einzigen Flüsse, die nur mit abgepackten Fahrrädern zu bezwingen waren. Jeweils fünf Mal musste jeder von uns durch die eiskalten Fluten, da nebst Fahrrad auch Sack und Pack nur einzeln hinüber balanciert werden konnten. Dabei hätte es uns einmal fast weggerissen, da die Füße im eisigen stetig steigenden Wasser zu gänzlich gefühllosen Stümpfen wurden, die nur schwierig sicheren Halt fanden. Als wir da durch waren, dachte keiner mehr ans Umkehren und so kämpften wir uns zuversichtlich zum Gæðavatnaleið, der anspruchsvollsten Geländestrecke Islands, vor.
Über schwarze Lavahalden krochen wir aus der größten Wüste Europas bis auf 1200 m an den größten Gletscher Europas heran - den Vatnajökull! Die Piste war hier wirklich nur noch festgefahrener Untergrund, jedoch wesentlich besser zu bewältigen, als erwartet. Gelbe Markierungen wiesen uns den Weg durch wildestes Lavagestein, dessen bizarre Formen mancherorts an versteinerte Trolle erinnerten. Zu Füßen der rabenschwarzen Schmelzkante des Vatnajökulls schlugen wir im Schutze eines Lavakessels unser Nachtlager auf und ließen die wohl eindrucksvollste Nacht unserer Tour hereinbrechen. Bereits zum Abend fiel die Temperatur auf frostige -2°C, ließ den Gletscherfluss komplett vereisen und überall Raureif wachsen, während sich über dem noch dämmernden Horizont wieder mal ein prächtiger Polarlichtbogen spannte, der hin und wieder zu einem rasanten Strahlentanz aufflammte! Eine überwältigende Stille umgab uns, die einzig vom dumpfen Krachen des Gletschereises unterbrochen wurde und eine wahrhaftig gespenstische Atmosphäre erzeugte.
Am nächsten Tag ging es nach einer kurzen Wanderung auf den schmutzigen Gletscherrand weiter in die unwegsame Felswüste um Urðaháls. An Fahren war hier kaum noch zu denken und so wurde unsere Radfahrt endgültig zu einer Radwanderung... Auf dem Gipfel des Felsblockhaufens gähnte uns ganz unvermittelt ein riesiges Loch an - anscheinend ein nicht verzeichneter Einsturzkrater, an dessen Absturz ein heftiger Wind herüber wehte. Dahinter folgte ein großflächiges Schwemmgebiet, das tagsüber noch Wasser führte. Der eingetrübte Himmel und die hereinbrechende Dämmerung verhinderten jedoch ein weiteres Abschmelzen der schwarzen Gletscherwand, so dass wir trotz später Stunde noch ganze 7 km über feuchten Grund preschten.
Und auf einmal umgab uns klassische Sandwüste, in der wir bald wieder schieben mussten. Kurz vor der Askja war der Sand schließlich so tief, dass sogar die vorderen Fahrradtaschen Bodenberührung hatten! Für den einzelnen war das die reinste Schinderei. Um Kräfte effektiv zu sparen ist im Wechsel einer voran, zog wie ein Ackergaul eine Furche und ließ alle anderen im Gänsemarsch hinter sich her trotten - und das auf einer Länge von 11 km, für die wir 4 ½ Stunden benötigten! Wären wir von Norden ins Hochland gelangt, wir wären wohl einstimmig umgekehrt... Wenigstens wurden wir von absolut göttlichem Wetter und einem wunderbaren Blick auf den nun auftauchenden Götterberg Herðubreið belohnt, denn diesen wollten wir als Hauptziel unserer "Wallfahrt" noch erklimmen.
Aber zuvor ging es noch einmal auf 1100 m hinauf zum Askja-Kessel, welcher von den Karawanen der Wikingerzeit allem Anschein nach für das Zwergenreich Schwarzalfenheim gehalten wurde. Die Auffahrt führte genau dort entlang, wo sich zuletzt 1961 eine Lavazunge ihren Weg nach unten bahnte. Oben angelangt, ging es weiter zu Fuß bis zum Öskjuvatn, dem tiefsten See Islands, wo wir uns im danebenliegenden lauwarmen Vulkankrater Vítí ein schwefliges Bad gönnten.
Noch tagelang nach Schwefel stinkend, begaben wir uns schließlich zum Schildvulkan Herðubreið - der Götterburg Asgard. Zu Ehren der Oberen, die uns bisher fantastisches Wetter bescherten, gab es am Abend bei Kerzenschein und Met ein paar Anekdoten aus der Edda. Aus dem Grimnir-Lied erfuhren wir, dass Asgards Tor von Westen her leicht zu erkennen sei. Und tatsächlich erschien uns der Berg auf unserer zehnstündigen Wanderung wie eine uneinnehmbare Festung, die nach Westen ein breites Tor mit Säulen und Türmen offenbarte - als hätte man eine riesige Zugbrücke herunter gelassen. Auf dem Gipfel zu Füßen Hlidskjalfs, dem alles überragenden Thron Odins, begossen wir mit einem Bärenfang triumphal den erhabensten Punkt unserer Reise. Den Vulkankegel an seiner Spitze ließen wir jedoch ehrfurchtsvoll vor uns liegen, denn in unserem fortgeschrittenen Aberglauben hielten wir an der Regel fest, dass es vermessen sei, auf Odins Hochsitz zu steigen. Der Elch sah das als einziger nicht so und so sollte er in den darauffolgenden Tagen von uns derjenige sein, dem das Schicksal gemäß unseren Vorwarnungen am meisten zusetzte...
Auf unserer letzten Hochlandetappe durch die Missetäterwüste Ódáðahraun gerieten wir in den ersten richtigen Sandsturm. Dazu Wellpisten mit tückischen Schlaglochrippen, die flächendeckend den gesamten Weg überzogen und uns dermaßen durchschüttelten, dass sich neben meinem Teleobjektiv nun auch noch das Fotostativ vollkommen in seine Einzelteile zerlegte... Nach 15 Tagen erreichten wir schließlich die andere Seite der Ringstraße und mit ihr den ersten Asphalt nach 435 km. Das neue Fahrgefühl auf der glatten Straße war ungewohnt und fast schon ein luxuriöser Genuss. Auch die Wiese, auf der wir uns am Abend einfanden und das ganze flächige Grün drumherum erschien uns wie eine Befreiung!

Westmark

An der ersten Einkaufsgelegenheit in Reykjahlið verfielen wir nach 16 Tagen und 520 km der Entbehrung gnadenlos der Völlerei... Am Mývatn ließen wir uns für zwei Nächte auf einem Zeltplatz nieder, feierten unsere erfolgreiche Hochlanddurchquerung und brachten uns und unsere Räder wieder auf Vordermann. Von nun an sollte der "gemütliche" Teil der Tour beginnen, doch eine nichtige Probefahrt des aufpolierten Rades führte beim Elch zum Totalausfall seines Hinterradantriebes. Odins Rache: ein aufgefetzter Kettenüberwerfer am verbogenen Rahmen - hier konnte nur noch der fachliche Rat einer Werkstatt weiterhelfen... Also ging es zunächst mit zurückgebogenem Rahmen und gekürzter Kette gemütlicher als gewollt weiter in Richtung Akureyri, Islands zweitgrößter Stadt nach Reykjavík. Hier würde sich entscheiden, ob es noch wie ursprünglich geplant in die Nordwestfjorde gehen kann oder nicht. Wir hatten Glück! In einem Radladen fanden wir das passende Gegenstück zum demolierten Kettenüberwerfer, womit unsere Weiterfahrt gerettet war.
Auf der Ringstraße preschten wir bei stetigem Rückenwind und unglaublich schönem Wetter der Westmark entgegen. Als wir den tief ins Land hineinreichenden Hrútafjörður an seinem Ende erreichten, verließen wir die Hauptstraße und begaben uns fernab touristisch ausgetretener Pfade in das alte Island der Nordwestfjorde. Hier strahlte das Land einen noch tieferen Zauber aus, als im Landesinneren, denn hier fühlte man sich wirklich abgeschieden. Zweifellos war es die schönste Gegend, die wir auf unserer Islandreise durchfuhren. Vor allem im Lichte der monderhellten Nacht fühlte man sich wie in eine andere Welt versetzt...
Da wir über die Fähre, die uns nach Ísafjörður bringen sollte, nichts konkret in Erfahrung bringen konnten, kürzten wir unsere geplante Route nach Süden hin ab und fuhren entlang des Vestfjarðavegur bis nach Brjánslækur, wo wir mit der Fähre Baldur den Breiðafjörður überquerten. Das bisher ruhige Wetter wandelte sich jedoch ausgerechnet am Tag der Überfahrt in Sturm und ließ den Kahn bei seiner dreistündigen Fjordüberquerung wie eine Nussschale schaukeln...
Dem Wind folgte auch herbstliche Kälte und ungemütliche Nässe. Wir wollten noch einen Umweg über Þingvellir wagen, wo schon zu Zeiten der Mythendichter das alljährliche Thing, eine Gerichtsversammlung, abgehalten wurde. Doch das sollte nicht ganz einfach werden. Kurz vor dem Bergpass Uxahryggir nagelte uns ein Orkantief für zwei Nächte auf einer bald wasserüberfluteten Wiese fest. Stürmischer Südwind brachte zuerst Regen, dann Graupel und zu guter Letzt auch noch den ersten Schnee, um nach der mitternächtlichen Stille im Orkanauge plötzlich bösartigst auf Nordwest zu drehen. Es war unser Glück, dass wir den Windwechsel früh genug der Wetterprognose einer Tageszeitung entnahmen und bereits beim Zeltaufbau berücksichtigten, denn nur die Böschung des unmittelbar neben uns verlaufenden Weges verschonte uns vor den schlimmsten Orkanböen!
Als ich morgens von wildem Zeltgeflatter und sich biegendem Gestänge geweckt aus dem Zelt schaute, war ich erschrocken und überwältigt zugleich: über dem Fluss stiebte eine Gischt, wie bei einem Schneesturm; ein nahe gelegener Wasserfall schien nach oben gen Himmel zu fallen und ich selbst konnte mich nur mit Mühe gegen den Wind bewegen, welcher in jenen Minuten zweifellos die Orkanstärke 12 erreichte! Unter solchen Bedingungen konnten wir nicht länger bleiben und packten schleunigst zusammen. Einsetzender Regen verwandelte sich unterdessen in Schnee, welcher die schon leicht angezuckerten Berge mehr und mehr in ein dickes Weiß hüllte. Auf unserem Pass in 420 m Höhe war dann auch schon tiefster Winter zu spüren. Bei 0°C und Windstärke 8-9 gab es eine gefühlte Temperatur von -20°C! Der Schneesturm blies derart heftig, dass wir bei Seitenwind selbst schiebend ständig Kurs auf die Böschung nahmen, bei Rückenwind schottrige Steigungen einfach so hinauf rollten und abwärts immerzu bremsend erst an einem 20%-Gefälle durch einen klassischen Sprung über den Lenker zum Stehen kamen... Dieser Tag war zweifellos der verrückteste der gesamten Tour.
Nach einer Übernachtung in den windgeschützten Schluchten von Þingvellir verbrachten wir die letzten Tage mit einer ausgiebigen Stadtbesichtigung in Reykjavík und begaben uns schließlich bei zurückkehrendem Sonnenschein wieder zum Ausgangspunkt unserer Tour - dem Flughafen von Keflavík. Die letzte Nacht in Island verzauberte uns noch einmal mit seiner ganzen nordischen Pracht, einem wild flackerndem Polarlicht, das von der Abend- bis zur Morgendämmerung in atemberaubender Weise den Anschein vermittelte, ein brachialer Sturm ziehe durchs Feuer...

Rückreise

Zurück in Kopenhagen übernachteten wir wieder an der selben Stelle im Stadtpark und setzten zur größten Tagesetappe in Richtung Gedser an. Zu faul, noch einmal das Zelt aufzubauen, lagen wir in der letzten Nacht trotz Aussicht auf Regen unter dem bloßen Blätterwerk eines dänischen Buchenwaldes um von dort in einem Ritt mit Fähre und Bahn bis nach Haus zu gelangen.

Richard Löwenherz      

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© 2008 by Richard Löwenherz