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Interview
"Mit dem Fahrrad bis ans Ende der Welt"

Was hat die große Leidenschaft zum Reisen mit dem Fahrrad in Ihnen geweckt?

Schwer zu sagen, was den Anstoß gegeben hat – es hat sich alles schrittweise entwickelt. Mit 13 Jahren legte ich mir ein neues Rad zu (mit dem ich bis heute noch auf Reisen gehe) und fing an, auf eigene Faust die Umgebung zu erkunden, meinen Horizont zu erweitern. Als ich 16 war, begann das große Radeln mit Freunden. Zuerst waren das Tagestouren in die unmittelbare Umgebung: 100 km, 200 km, 300 km... 1998 schafften wir innerhalb 24 Stunden 375 km. Will man weiter fahren, muss man einfach länger unterwegs sein – die Gepäcktouren begannen. Die erste mehrwöchige Gepäcktour ging 1999 nach Südschweden und hat zurückblickend wohl den zündenden Funken gelegt. Dieses erste Erlebnis, mit reduziertem Hausrat auf dem Rad so frei und unabhängig zu sein, war sehr eindrücklich. Hinzu kam noch Lagerfeuerromantik und das Abenteuer des Unbekannten. Mich hat das nicht mehr losgelassen – seit dieser Tour bin ich jedes Jahr immer wieder aufs Neue aufgebrochen. Zunächst immer tiefer in die urwüchsige Landschaft Fennoskandiens, 2002 dann das erste Mal nach Nordrussland. Hier hat mich vor allem der offene Menschenschlag, die raue Natur und das einfache Leben fasziniert. Jetzt zog es mich immer tiefer in das russische Reich, 2005 bis an den Ural, in den Folgejahren dann bis ins hinterste Sibirien und in die Mongolei. Irgendwann wurde aber das Geld zu knapp für so große Entfernungen und auch mit großen Auszeiten musste ich am Ende meines Studiums knausern. Ich reduzierte meinen Aktionsradius wieder auf Europa, der Osten blieb aber im Fokus: Karpaten, Krim, Kaukasus, Weißrussland, Nordrussland im Winter... Das Preisgeld zum Globetrotter des Jahres erlaubte mir 2011 wieder den Sprung nach Asien – Zentralasien hatte es mir angetan: Usbekistan, Kirgistan, Tadschikistan. Die Leidenschaft wird immer wieder aufs Neue geweckt.

Wie viele Kilometer sind Sie bisher in Ihrem Leben schon mit dem Fahrrad gefahren?

Diese Frage könnte wohl nicht jeder ohne weiteres beantworten... Da ich aber schon seit 20 Jahren Statistik über meine gefahrenen Kilometer führe, kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass es inzwischen mehr als 120.000 sind. Fast 50.000 davon gehen auf das Konto von mehrtägigen Radreisen mit Gepäck, der Rest ist im Alltag oder auf kleineren Ausflügen zusammengekommen. Vom körperlichen Einsatz her zählen die Radreisekilometer eigentlich doppelt, vor allem die auf den Schotterpisten Russlands... Ein sportlich ambitionierter Straßenradler würde in der gleichen Zeit deutlich mehr abstrampeln.

Wie lang war Ihre längste Strecke?

Im Sommer/Herbst 2001 umrundete ich die Ostsee. Das waren rund 7000 km innerhalb von drei Monaten und damit sowohl strecken- als auch zeitmäßig meine längste Tour. Es war die erste große Radtour im Alleingang und die einzige, die vor der Haustür begann und endete.

Was kann Sie dazu bewegen, auf Ihren Touren auch mal vom Rad abzusteigen?

Schlechte Wege und steile Anstiege... Nein, im Ernst: wenn es faszinierende Landschaften gibt, die per Rad nicht erreichbar sind, gehe ich auch gerne mal wandern.

Sie sind schon mit dem Fahrrad sowohl durch Russland als auch durch Deutschland getourt. Was reizt Sie an beiden Ländern?

Das, was mich an Russland reizt, ist natürlich das, was ich in Deutschland nicht finde: die endlosen Weiten, die raue Natur, die überaus gastfreundlichen Menschen. Russland ist ein unermesslich großes Land – es vereint die verschiedensten Landschaften und Klimazonen, aber auch eine Vielzahl an Kulturen und Etnien. Eine Sprache, ein Visum genügt, um sich ein Gebiet zu erschließen, welches von der Ostsee bis an den Pazifik reicht. Das hat was! Und Abenteuer sind garantiert... Wenn ich durch Deutschland fahre, dann weil ich Entspannung und Ruhe suche, oder einfach mit Freunden etwas unternehmen möchte. Für längere Touren reizt mich Deutschland weniger, irgendwie hat der Mensch hier alles im Griff. Unberührte Natur beschränkt sich oft auf kleine Inseln inmitten einer stark besiedelten und bewirtschafteten Landschaft. Außerdem ist vieles vertraut und alltäglich, um wirklich etwas Neues kennenzulernen.

Sie reisen oft allein und für mehrere Wochen. Wie fühlen Sie sich dabei? Haben Sie manchmal Angst?

Reisen bedeutet Bewegung und Bewegung bedeutet Freiheit von wiederkehrenden äußeren Einflüssen. Die einzige Konstante, die dann bleibt, ist man Selbst. Wenn ich längere Zeit allein unterwegs bin, habe ich auch Gelegenheit, mich weiterzuentwickeln, über mich hinauszuwachsen. Das gibt mir Kraft und Zuversicht, nicht nur für die Reise selbst, sondern für das ganze Leben. Ängste und Zweifel verschwinden da recht schnell. Angst hat noch niemandem geholfen. Besser ist es, mit steter Bedachtheit vorzugehen.

Wie reagieren die Menschen, die Ihnen während Ihrer Reisen begegnen?

Mit Erstaunen, Unverständnis, Respekt... Vor allem da, wo Radreisende absolute Exoten sind, kann sich schon mal ein ganzes Dorf auf den Kopf stellen. Oft werde ich eingeladen und herzlich bewirtet. Besonders in den abgelegenen Gebieten ist die Hilfsbereitschaft sehr groß. Milizen fragen nur „wohin“, „woher“ und klopfen dann respektvoll auf die Schulter, ehe jeder wieder seiner Wege geht. Den Pass wollen sie manchmal gar nicht sehen. Es gibt aber auch Leute, die einfach nur den Kopf schütteln oder mir einen Vogel zeigen. Die Mehrheit zeigt sich aber eher begeistert mit erhobenen Daumen oder Hupkonzert im Vorbeifahren. Am meisten Unverständnis sorgt das Reisen im Alleingang, denn in Russland ist es üblich, in der Gruppe unterwegs zu sein. Dann erkläre ich immer, dass es für Westeuropäer normal sei.

Wie würden Sie die Beziehung zu ihrem Fahrrad beschreiben?

Mein Hauptreiserad von der Marke Kynast (26-Zoll, 18 Gänge, 18 kg) ist mittlerweile 20 Jahre im Einsatz und wird es auch weiterhin bleiben. Ich hatte es damals für 600 DM erstanden und es hat sich als absolut reisetauglich erwiesen, auch wenn es hier und da mal technische Probleme gab. Spätestens nach den ersten Russland-Reisen, die teilweise unter extremen Bedingungen durch schweres Gelände gingen, war für mich klar, dass ich dieses Rad nie einfach so gegen ein neues eintauschen würde. Schon vor 10 Jahren gab es laute Unkenrufe, ich solle mir doch endlich mal ein neues Rad zulegen. Als ich 2008 eine festkorrodierte Tretkurbel wechseln lassen wollte, erklärte ein Fahrradmechaniker mein Rad sogar für schrottreif. Natürlich hatte der keine Ahnung, wie sonst hätte ich damit noch durch den Kaukasus und durch den russischen Winter fahren können...

Was ist auf Ihren Radtouren ein unerlässlicher Begleiter?

Die Begeisterung für das, was man tut... Ansonsten natürlich das Minimum an Ausrüstung, um unabhängig zu bleiben, eigentlich nichts Besonderes. Viel Wert lege ich aber auf eine gute Dokumentation der Reise. So ist immer eine gute Kamera mit Stativ dabei, ein Tagebuch und auch ein Thermometer.

Wo schlafen Sie während der Touren? Was ziehen Sie an, was essen Sie?

Wenn ich nicht gerade von jemandem eingeladen wurde, ziehe ich es immer vor, draußen unter freiem Himmel zu übernachten. Da habe ich meine Ruhe und kann mich wunderbar erholen. Feste Unterkünfte oder Zeltplätze sind nichts für mich, am allerwenigsten Hotels inmitten einer Stadt. Wie ich mich kleide, hängt natürlich von den äußeren Bedingungen ab. Die einfachsten Dinge reichen, top Ausrüstung ist keine Grundvoraussetzung für eine expeditionsartige Reise. Beim Essen das Gleiche: Haferbrei mit Rosinen am Morgen und Nudeln mit Tütensuppe am Abend – wenn es keine Alternativen gibt, komme ich damit auch mehrere Wochen klar. Ansonsten gibt’s unterwegs auch Brot und Wurst, Trockenobst und Nüsse, Kekse und Schokolade. In Russland auch immer dabei: Prjaniki (traditionelle Lebkuchen) – davon kann ich nie genug bekommen.

Sie sind schon bei extremen Minustemperaturen mit dem Fahrrad gereist. Wie halten Sie das aus?

Die Antwort darauf ist Anpassung. Der menschliche Körper fühlt sich zwar wohl in einem Stubenklima, kommt aber generell auch mit ganz anderen Verhältnissen klar. Ein paar Tage Aufenthalt in dauerhafter Kälte und die innere Heizung passt sich dem erhöhten Wärmeverlust an. Dabei verbraucht der Körper natürlich mehr Energie, was sich spätestens nach einer Woche in einem größeren Appetit äußert. Viel Essen ist die Devise, um auch längerfristig der Kälte standzuhalten. Solange der Körper genug Substanz hat, nicht erschöpft oder ermüdet ist, dann friert man auch nicht so schnell. Dazu die frische Luft und die regelmäßige (sportliche) Betätigung – all das stärkt den Körper letztendlich, um den Unbilden der Witterung zu trotzen. Nicht zu vergessen auch die Vernunft: man sollte nicht mehr riskieren, als nötig, und sich auch Erholung gönnen.

Welche Möglichkeiten bietet das Fahrrad im Vergleich zu anderen Verkehrmitteln, wie beispielsweise dem Auto, um Regionen zu erkunden?

Mit dem Fahrrad komme ich fast überall hin, sowohl auf Straßen, als auch auf Pfaden. Das Erlebnis einer Radreise ist außerdem viel intensiver, als mit anderen Verkehrsmitteln: ich spüre die Entfernungen, nehme alles bewusster wahr, komme schneller und direkter mit Menschen in Kontakt und fühle mich oft auch verbunden mit meiner Umwelt. Es stört kein Motorenlärm, keine Scheibe kapselt mich von der Außenwelt ab. Das Fahrrad ist aber vor allem auch Mittel zum Zweck, da ich mit diesem ein Maximum an Unabhängigkeit erreiche. Ich kann damit relativ große Distanzen aus eigener Kraft zurücklegen beziehungsweise eine komplette Reise vom Anfang bis zum Ende ohne fremde Hilfe umsetzen. Außerdem kann ich mir auch bei viel Gepäck immer den Rücken freihalten, was wiederum gegenüber einem Rucksackreisenden einen gewissen Komfort darstellt.

Ihr Reisestil hat das Motto: „Low-Budget-Abenteuer abseits ausgetretener Pfade“. Was reizt Sie besonders daran, abgelegene Gegenden zu erkunden?

Ich denke, es ist die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, die mich in die abgelegenen Regionen zieht – zu den Orten, in denen die Zeit scheinbar stehen geblieben ist, und zu den Menschen, die ihren Alltag noch nach althergebrachter Weise leben. Touristische Ziele reizen mich nicht, auch jene nicht, die wenig besucht werden, aber über die man ohne weiteres alles nachlesen kann. Richtig interessant wird für mich eine Region erst, wenn ich trotz umfangreicher Recherchen kaum etwas in Erfahrung bringen kann. So habe ich die Möglichkeit, selbst etwas zu entdecken, was auch in der heutigen, scheinbar vollständig erklärten Welt immer noch möglich ist.

Sind Sie schon einmal in eine Situation geraten, die Sie an Ihre Grenzen geführt hat?

Es gab schon mehrfach Situationen, die mich zur Einsicht oder zum Umdrehen gebracht haben. Oft waren es aber nur Grenzen im Kopf, die sich mit den neu hinzugewonnenen Erfahrungen über die Jahre immer weiter nach außen verschoben haben. Für mich ist das eine Art des Horizont Erweiterns. Und so bin ich auch direkt auf der Suche nach Grenzerfahrungen.

Wie finanzieren Sie sich Ihre Reisen?

Finanziert habe ich meine Reisen stets von dem, was ich mir angespart hatte. Während meiner letzten Studienjahre betrug mein monatlicher Verdienst durchschnittlich 300 bis 400 Euro. Dazu kamen vereinzelte Einnahmen durch Diavorträge oder Bildveröffentlichungen. Die Zusatzeinnahmen waren oft das Zünglein an der Waage – ich legte sie mir oft in einem Umschlag beiseite, um sie in das nächste Reiseprojekt umzusetzen. Wenn ich mehr als einen Monat weg war, habe ich auch mein Wohnheimzimmer untervermietet, manchmal sogar gekündigt. Das Reisebudget war also immer auf Kante und ich hab auch nur das gemacht, was unter den gegebenen Umständen möglich war. Jetzt sieht die Sache ein wenig entspannter aus. Seit zwei Jahren arbeite ich teilzeit als Meteorologe bei einer privaten Wetterfirma und habe nun finanziell mehr Spielraum.

Was haben Sie noch vor sich?

Nicht müde werden, neue Erfahrungen sammeln, neue Grenzen ausloten... In Russland und Asien gibt es noch viel zu entdecken.

das Interview führte Sophie Knebel      
To4ka-Treff, Juli 2013
      

gekürztes Interview auf To4ka-Treff (www.goethe.de):
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